© Hidden Lines of Space

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  1. 1) Alian Manesson-Mallet, Kriegsarbeit oder Neuer Festungsbau …, Amsterdam 1672

    1) Alian Manesson-Mallet, Kriegsarbeit oder Neuer Festungsbau …, Amsterdam 1672

    1) Alian Manesson-Mallet, Kriegsarbeit oder Neuer Festungsbau …, Amsterdam 1672

    1) Alian Manesson-Mallet, Kriegsarbeit oder Neuer Festungsbau …, Amsterdam 1672

    2) Lars von Trier, Dogville, Film-Still, 2003

    2) Lars von Trier, Dogville, Film-Still, 2003

    3) Matthias Grünewald, Maria-Schnee-Altar, rechter Seitenflügel mit dem Schneewunder, um 1517/1519

    3) Matthias Grünewald, Maria-Schnee-Altar, rechter Seitenflügel mit dem Schneewunder, um 1517/1519

    4) Masolino, Tritticodella Madonna delle Neve, Mittelteil des Tryptichonsmit dem Schneewunder, 1423/1428

    4) Masolino, Tritticodella Madonna delle Neve, Mittelteil des Tryptichonsmit dem Schneewunder, 1423/1428

    5) Anonymus, Schloss Sankt Johannis in Nürnberg, Grundriss des Souterrains mit Bestand in Rot und Änderungen in Blau, 1649

    5) Anonymus, Schloss Sankt Johannis in Nürnberg, Grundriss des Souterrains mit Bestand in Rot und Änderungen in Blau, 1649

    6) Hans Müller, Badehaus zu Ems, Grundriss, verschiedene Liniensysteme visualisieren Bestand, Umbau und den Meridian als Messpunkt, 1580 (Ausschnitt)

    6) Hans Müller, Badehaus zu Ems, Grundriss, verschiedene Liniensysteme visualisieren Bestand, Umbau und den Meridian als Messpunkt, 1580 (Ausschnitt)

    7) Michelangelo, Studie für die Bastion am Stadttor Prato di Ognissanti in Florenz, 1529 (Ausschnitt)

    7) Michelangelo, Studie für die Bastion am Stadttor Prato di Ognissanti in Florenz, 1529 (Ausschnitt)

    7) Umzeichnung von Bruno Zevi. Die schwarzen Flächen zeigen den Leerraum, der hier nun in Form einer menschlichen Gestalt erscheint, 1964

    7) Umzeichnung von Bruno Zevi. Die schwarzen Flächen zeigen den Leerraum, der hier nun in Form einer menschlichen Gestalt erscheint, 1964

    8) Johann Zick/JanuariusZick, Kuppelfresko, Treppenhaus, Schloss Bruchsal, 1751-1754 (rekonstruiert)

    8) Johann Zick/JanuariusZick, Kuppelfresko, Treppenhaus, Schloss Bruchsal, 1751-1754 (rekonstruiert)

    8) Johann Zick/JanuariusZick, Kuppelfresko, Treppenhaus, Schloss Bruchsal, 1751-1754 (rekonstruiert)

    8) Johann Zick/JanuariusZick, Kuppelfresko, Treppenhaus, Schloss Bruchsal, 1751-1754 (rekonstruiert)

    9) ‚Phantasiegrundriss‘, Schloss Ludwigsburg, Deckengemälde (Ausschnitt)

    9) ‚Phantasiegrundriss‘, Schloss Ludwigsburg, Deckengemälde (Ausschnitt)

    10) Johann David Steingruber, Architektonisches Alphabeth…, Schwabach 1773

    10) Johann David Steingruber, Architektonisches Alphabeth…, Schwabach 1773

    10) Johann David Steingruber, Architektonisches Alphabeth…, Schwabach 1773

    10) Johann David Steingruber, Architektonisches Alphabeth…, Schwabach 1773

    11) Claude Nicolas Ledoux, Oikema, um 1780

    11) Claude Nicolas Ledoux, Oikema, um 1780

    12) Anonymus, Schloss Hadamar, Raumfunktionszeichnung als Systemskizze, 1619/1622

    12) Anonymus, Schloss Hadamar, Raumfunktionszeichnung als Systemskizze, 1619/1622

    12) Heinrich Schickhardt, Schultheißenamtshaus zu Mötzingen, Obergeschossgrundriss mit Lavierung raumfunktionaler Details (Ausschnitt), 1628

    12) Heinrich Schickhardt, Schultheißenamtshaus zu Mötzingen, Obergeschossgrundriss mit Lavierung raumfunktionaler Details (Ausschnitt), 1628

    13) Wilhelm Dilich, Schloss Ziegenhain, Grundriss mit Angabe aller Geschossebenen durch Klapprisse (Ausschnitt), 1607–1622.

    13) Wilhelm Dilich, Schloss Ziegenhain, Grundriss mit Angabe aller Geschossebenen durch Klapprisse (Ausschnitt), 1607–1622.

    14) Margarete Schütte-Lihotzky, Frankfurter Küche, 1926

    14) Margarete Schütte-Lihotzky, Frankfurter Küche, 1926

    14) Margarete Schütte-Lihotzky, Frankfurter Küche, 1926

    14) Margarete Schütte-Lihotzky, Frankfurter Küche, 1926

    15) Wasmuths Lexikon der Baukunst, 1930

    15) Wasmuths Lexikon der Baukunst, 1930

    15) Wasmuths Lexikon der Baukunst, 1930

    15) Wasmuths Lexikon der Baukunst, 1930

    16) Wasmuths Lexikonder Baukunst, 1930 „[d]ieKreuzungen der Ganglinien bedeuten eine Unmöglichkeit der gleichzeitigen ungestörten Abwicklung der Hauptwohn-vorgänge: Kochen-Essen, Schlafen-Waschen, Arbeiten-Ruhen. […] Mangel an zusammen-hängenden, gut beleuchteten und nicht zum Durchgang benötigten Bewegungs-flächen von ausreichenden Abmessungen, je nach der Benutzungsart des Raumes, vermindert den Aufenthaltsraum der Familie, besonders der Kinder, zwingt zu einer ungünstigen Lebensführung, und führt schließlich zu einem unnötigen Kraftauf-wand bei allen wirtschaftlichen Verrichtungen. […].“

    16) Wasmuths Lexikonder Baukunst, 1930

    „[d]ieKreuzungen der Ganglinien bedeuten eine Unmöglichkeit der gleichzeitigen ungestörten Abwicklung der Hauptwohn-vorgänge: Kochen-Essen, Schlafen-Waschen, Arbeiten-Ruhen. […] Mangel an zusammen-hängenden, gut beleuchteten und nicht zum Durchgang benötigten Bewegungs-flächen von ausreichenden Abmessungen, je nach der Benutzungsart des Raumes, vermindert den Aufenthaltsraum der Familie, besonders der Kinder, zwingt zu einer ungünstigen Lebensführung, und führt schließlich zu einem unnötigen Kraftauf-wand bei allen wirtschaftlichen Verrichtungen. […].“

    17) Ernst Neufert, Bauentwurfslehre, 1936

    17) Ernst Neufert, Bauentwurfslehre, 1936

    17) Ernst Neufert, Bauentwurfslehre, 1936

    17) Ernst Neufert, Bauentwurfslehre, 1936

    18) Ernst Neufert, Bauentwurfslehre, 1936

    18) Ernst Neufert, Bauentwurfslehre, 1936

    18) Ernst Neufert, Bauentwurfslehre, 1936

    18) Ernst Neufert, Bauentwurfslehre, 1936

    19) Schloss Hartenfelsin Torgau, 16. Jh. Raumfunktions-zeichnungen (Stephan Hoppe)

    19) Schloss Hartenfelsin Torgau, 16. Jh. Raumfunktions-zeichnungen (Stephan Hoppe)

    20) Lars von Trier, Dogville, Prolog, Film-Still, 2003

    20) Lars von Trier, Dogville, Prolog, Film-Still, 2003

    21) Lars von Trier, Dogville, Prolog, Film-Still, 2003

    21) Lars von Trier, Dogville, Prolog, Film-Still, 2003

    22) Lars von Trier, Dogville, Prolog, Film-Still, 2003

    22) Lars von Trier, Dogville, Prolog, Film-Still, 2003

    23) Lars von Trier, Dogville, Trailer, Film-Still, 2003

    23) Lars von Trier, Dogville, Trailer, Film-Still, 2003

    24) Landgraf Moritz, Lustschloss und Garten Weißenstein bei Kassel, um 1627

    24) Landgraf Moritz, Lustschloss und Garten Weißenstein bei Kassel, um 1627

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      1) Alian Manesson-Mallet, Kriegsarbeit oder Neuer Festungsbau …, Amsterdam 1672

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      1) Alian Manesson-Mallet, Kriegsarbeit oder Neuer Festungsbau …, Amsterdam 1672

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      2) Lars von Trier, Dogville, Film-Still, 2003

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      3) Matthias Grünewald, Maria-Schnee-Altar, rechter Seitenflügel mit dem Schneewunder, um 1517/1519

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      4) Masolino, Tritticodella Madonna delle Neve, Mittelteil des Tryptichonsmit dem Schneewunder, 1423/1428

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      5) Anonymus, Schloss Sankt Johannis in Nürnberg, Grundriss des Souterrains mit Bestand in Rot und Änderungen in Blau, 1649

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      6) Hans Müller, Badehaus zu Ems, Grundriss, verschiedene Liniensysteme visualisieren Bestand, Umbau und den Meridian als Messpunkt, 1580 (Ausschnitt)

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      7) Michelangelo, Studie für die Bastion am Stadttor Prato di Ognissanti in Florenz, 1529 (Ausschnitt)

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      7) Umzeichnung von Bruno Zevi. Die schwarzen Flächen zeigen den Leerraum, der hier nun in Form einer menschlichen Gestalt erscheint, 1964

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      8) Johann Zick/JanuariusZick, Kuppelfresko, Treppenhaus, Schloss Bruchsal, 1751-1754 (rekonstruiert)

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      8) Johann Zick/JanuariusZick, Kuppelfresko, Treppenhaus, Schloss Bruchsal, 1751-1754 (rekonstruiert)

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      9) ‚Phantasiegrundriss‘, Schloss Ludwigsburg, Deckengemälde (Ausschnitt)

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      10) Johann David Steingruber, Architektonisches Alphabeth…, Schwabach 1773

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      10) Johann David Steingruber, Architektonisches Alphabeth…, Schwabach 1773

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      11) Claude Nicolas Ledoux, Oikema, um 1780

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      12) Anonymus, Schloss Hadamar, Raumfunktionszeichnung als Systemskizze, 1619/1622

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      12) Heinrich Schickhardt, Schultheißenamtshaus zu Mötzingen, Obergeschossgrundriss mit Lavierung raumfunktionaler Details (Ausschnitt), 1628

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      13) Wilhelm Dilich, Schloss Ziegenhain, Grundriss mit Angabe aller Geschossebenen durch Klapprisse (Ausschnitt), 1607–1622.

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      14) Margarete Schütte-Lihotzky, Frankfurter Küche, 1926

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      14) Margarete Schütte-Lihotzky, Frankfurter Küche, 1926

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      15) Wasmuths Lexikon der Baukunst, 1930

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      15) Wasmuths Lexikon der Baukunst, 1930

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      16) Wasmuths Lexikonder Baukunst, 1930

      „[d]ieKreuzungen der Ganglinien bedeuten eine Unmöglichkeit der gleichzeitigen ungestörten Abwicklung der Hauptwohn-vorgänge: Kochen-Essen, Schlafen-Waschen, Arbeiten-Ruhen. […] Mangel an zusammen-hängenden, gut beleuchteten und nicht zum Durchgang benötigten Bewegungs-flächen von ausreichenden Abmessungen, je nach der Benutzungsart des Raumes, vermindert den Aufenthaltsraum der Familie, besonders der Kinder, zwingt zu einer ungünstigen Lebensführung, und führt schließlich zu einem unnötigen Kraftauf-wand bei allen wirtschaftlichen Verrichtungen. […].“

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      17) Ernst Neufert, Bauentwurfslehre, 1936

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      17) Ernst Neufert, Bauentwurfslehre, 1936

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      18) Ernst Neufert, Bauentwurfslehre, 1936

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      18) Ernst Neufert, Bauentwurfslehre, 1936

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      19) Schloss Hartenfelsin Torgau, 16. Jh. Raumfunktions-zeichnungen (Stephan Hoppe)

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      20) Lars von Trier, Dogville, Prolog, Film-Still, 2003

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      21) Lars von Trier, Dogville, Prolog, Film-Still, 2003

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      22) Lars von Trier, Dogville, Prolog, Film-Still, 2003

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      23) Lars von Trier, Dogville, Trailer, Film-Still, 2003

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      24) Landgraf Moritz, Lustschloss und Garten Weißenstein bei Kassel, um 1627

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    Grund – Riss – Raum. Vom Schneewunder bis zu Dogville*

    von Sebastian Fitzner


    Grundrisse abstrahieren Raum (Abb. 1). Die orthogonalen Linienzüge – meist auf Papier gezogen – markieren auf dem planen Grund die äußeren und inneren Grenzen von Raum. Dieser zeichnerisch umrissene und zeichnerisch definierte Raum wird sodann auf den Baugrund übertragen und füllt sich zunehmend zum umbauten Raum auf. Grundrisse bereiten ein Bauwerk vor, sie sind zentrale Medien für die Planung, den Entwurf und das Ins-Werk-Setzen eines Gebäudes. So gesehen ist der Grundriss ein primär technisches Werkzeug. Doch wenn wir von Grund, Riss und Raum sprechen, dann wird deutlich, dass dieses bisweilen spröde zeichnerische Medium allerdings stets auch unser Verhältnis zum Grund und zum Raum zum Thema erhebt.
    Grundrisse verorten uns und Grundrisse lassen uns über Relationen – räumlich und vor allem sozial – nachdenken (Abb. 2). In diesem Sinne ließe sich sagen, dass Grundrisse einen Zwischenraum besitzen; einen Denkraum, der zwischen planem, technischem Bild und dem Ins-Werk-Setzen liegt und der einen weiten Raum kultureller Bedeutungshaftigkeit zu erschließen vermag. Einen derart entgrenzten Raum des Grundrisses möchte ich heute Abend erkunden und fragen, was uns eigentlich am Grund der Zeichnung erwartet. Vier Begriffe sollen dabei durch die Labyrinthe der Grundrisse führen; wobei genauso weitere Fäden ganz im Sinne Ariadnes sicherlich brauchbare Wege erschließen würden.

    Erstens, der Grundriss als Ereignis. Zweitens, der Grundriss als Werkzeug. Drittens, der Grundriss im und als Bild. Viertens schließlich, der Grundriss als Kontaktzone.
    Grundrisse können sich ereignen, d.h. sie sind nicht planvoll vom Architekten erdacht, sondern sie erscheinen als ephemere und vergängliche Formen und sind so zugleich Ausgangspunkt von Gründungsmythen (Abb. 3). Als es im Sommer im Jahr 358 auf dem Esquilin in Rom schneite, so markierte das wundersame Ereignis den Beginn für den Bau der Kirche Santa Maria Maggiore. In der bildlichen Überlieferung tritt uns der Schnee bei Matthias Grünewald als nicht geformte Fläche entgegen, die von Papst Liberius mit einer Hacke bearbeitet wird und der so den Ort für die Gründung vorbereitet (Abb. 4). Jedoch wird das Schneewunder auch anders ins Bild gesetzt, indem nämlich Masolino den durch Maria bewirkten Schneefall bereits in abstrahierter Form prospektiv als Grundriss der Kirche darstellt und so Papst Liberius nicht den Baugrund aushackt, sondern die Kontur eines modellhaften Grundrisses im Schnee nachzeichnen zu scheint. In beiden Fällen ist der Grundriss ein höchst instabiles und vergängliches Medium. Seine temporäre Erscheinung erfordert ein sofortiges Handeln, das so nicht geplant war. - Planvolles Handeln kommt immer dann zum Tragen, wenn der Grundriss als Werkzeug für etwas gebraucht wird (Abb. 5). Folglich ist dieser ein Hilfsmittel und dient der Planung und dem Entwurf eines Gebäudes. Seine Linienzüge reichen dabei von verdichteten Skizzen bis hin zu akkurat und nach DIN-Norm ausgeführten Zeichnungen. Die Linien tragen so mal mehr und mal weniger kodierte Bedeutungen, die einem möglichst eindeutigem Lesen und Verstehen zuarbeiten sollen (Abb. 6). Doch gerade diese hoch systematischen Linienzüge sind es, die auch Kritik am Grundriss provozieren. So sind solche technischen Grundrisse für Dagobert Frey nur „dürre Gerippe“, denen auch kein weiterer künstlerischer Wert beizumessen sei. Für Hans Rose sind es vor allem Grundrisse von Gärten, die „viel häßlicher als Gebäudegrundrisse“ sind, denn sie könnten nicht adäquat zwischen realer Gartenraumerfahrung und dem planen Grund des Papiers vermitteln (Abb. 7). Ganz anders hingegen sind die semantisch dichten Aufladungen von Grundrissen bei Bruno Zevi zu verstehen. Denn der Architekturhistoriker spürt den wirkmächtigen Grundrissen von Festungen Michelangelos in eigenen interpretierenden Umzeichnungen nach. Und so wird im Grundriss einer Befestigung sogar eine anthropomorphe Gestalt erblickt und gezeichnet. Der Grundriss als Werkzeug gedacht, meint einerseits ein hochgradig standardisiertes Entwurfs- und Planungsmittel, andererseits ein visuelles Denkwerkzeug in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit den Grundrissen. Gerade das Beispiel von Zevi zeigt, dass Grundrisse weniger neutrale und rein technisch-abstrakte Bildmedien sind, sondern dass diese immer auch zur spielerischen und gestaltpsychologischen Erkundung anleiten können.
    Der Grundriss im und als Bild führt uns zu einem weiteren Phänomen der abstrahierten Form des Darstellens von Raum. Denn der technische Grundriss erscheint in der Frühen Neuzeit immer wieder auf höchst repräsentative Weise als Bild im Bild (Abb. 8). So entrollen sich diese über unseren Köpfen in zahlreichen Deckengemälden in Kirchen und Schlössern oder präsentiert sich auf Augenhöhe in Porträts. Die Funktion solcher Grundrisse ist die der Repräsentation und markieren diese die kulturelle, sprich, bauliche Potenz der Bauherren, die sich mit ihnen gemeinsam zeigen. Weiterhin weisen solche in räumlichen Kontexten sichtbar gemachten Grundrisse aber auch auf den Raum selbst hin. Denn mittels des im Haupttreppenhaus von Schloss Bruchsal für die Betrachter entrollten Teilgrundrisses des von Fürstbischof Damian Hugo von Schönborn erbauten Schlosses, können sich diese nämlich im Schlosskörper tatsächlich verorten (Abb. 9). Nicht immer weisen solche Grundrisse Bezüge zu tatsächlichen Bauwerken auf und können auch Phantasiegrundrisse im Rahmen von allegorischen Darstellungen ins Bild gesetzt werden – die ich gerne einmal digital nachbauen würde. Der Grundriss als repräsentatives Bild findet in dem „Architektonischen Alphabeth“ einen Höhepunkt (Abb. 10). Denn Johann Steingruber entwirft Grundrisse auf Grundlage der Anfangsbuchstaben adeliger Standespersonen. Folglich setzt der Grundriss hier den Baukörper mit dem Körper der Herrscherin und des Herrschers gleich – individualisiert sich so der Grundriss qua Namen und wird dieser sogar dem Grund, also dem Territorium, eingeschrieben. Solch eine Architecture parlante, die bereits in ihrer Formgebung auf ihre Funktion und Nutzung hinweist und sich selbst „entbirgt“ (Anke te Heesen) kulminiert vielleicht in folgendem Grundriss (Abb. 11): Das Oikema von Ledoux in langgestreckter Form mit zwei runden Ausbuchtungen am unteren Ende ist deutlich als das zu lesen, was es in seiner Form zeigt. Nicht die kulturelle Potenz der Bauherren steht hier zu Disposition, sondern eines Lusthauses junger Menschen, die hier ihre Leidenschaft unter Kontrolle bringen sollen. Beide Beispiele zeigen aber auch, dass erst der Grundriss hier etwas eindeutig sichtbar macht und eben nicht die bildhafte Ansicht.
    Der letzte Begriff, den ich ansprechen möchte, ist der der Kontaktzone – was mit dem vorherigen Beispiel von Ledoux aber nichts gemein hat. Der Grundriss als Kontaktzone kann zunächst auf den materiell handhabbaren Grundriss zu beziehen sein (Abb. 12). Von der kleinformatigen Skizze bis hin zum großflächigen Papierträger, die intime wie auch beschwerlichere Betrachtungsweisen voraussetzen. Die Kontaktzone Papier ist dabei immer zweidimensional. Folglich muss das Explorieren des fertig gezeichneten Grundrisses rein kognitiv erfolgen (Abb. 13). Allerdings zeigt uns Wilhelm Dilich, dass Grundrisse auch haptisch erkundet werden können, in dem er nämlich mehrere Geschossebenen eines Schlosses durch übereinander geschichtete Grundrisse räumlich anordnet und übereinander schichtet. Der Einbezug der Hand ist dabei vor allem auch als spielerisches Motiv im sukzessiven Erkunden von Raum zu verstehen.
    Als Kontaktzone soll hier aber allen voran eine soziale, geschlechtliche und wirtschaftliche Funktion des Grundrisses angesprochen werden (Abb. 14). Eine der wohl bekanntesten (haus-)wirtschaftlich optimierenden Grundrisse ist der der Frankfurter Küche von Margarete Schütte-Lihotzky. In der Skizze dominieren Wegelinien und Meterangaben, die den Aktionsraum und Handlungsradius in der Küche zeichnerisch erfassen und optimieren sollen. Vor allem im Zuge des Neuen Bauens der 20er und 30er Jahre waren daher die sogenannten „Kleinwohnungsgrundrisse“ von zentraler Bedeutung: Galt es doch auf minimalen Raum eine optimale und d.h. auch wirtschaftliche Raumnutzung für die Bewohner zu erlangen (Abb. 15). Zentrales Element solcher Überlegungen war die Methode der „Grundrißbewertung“, mit der auf rationale Art und Weise nachzuvollziehen war, ob ein Grundriss seine Funktion für das Leben der Bewohner erfüllte oder eben nicht. Maßgeblich für das Funktionieren eines Grundrisses ist dabei, dass die Wege zwischen den Räumen optimiert werden. Nach Möglichkeit sind dabei kurze und konfliktfreie Wege bzw. Ganglinien zu entwerfen, denn (Abb. 16) – so das Zitat aus Wasmuths Lexikon der Baukunst von 1930 – „[d]ie Kreuzungen der Ganglinien bedeuten eine Unmöglichkeit der gleichzeitigen ungestörten Abwicklung der Hauptwohnvorgänge: Kochen-Essen, Schlafen-Waschen, Arbeiten-Ruhen. […] Mangel an zusammenhängenden, gut beleuchteten und nicht zum Durchgang benötigten Bewegungsflächen von ausreichenden Abmessungen, je nach der Benutzungsart des Raumes, vermindert den Aufenthaltsraum der Familie, besonders der Kinder, zwingt zu einer ungünstigen Lebensführung, und führt schließlich zu einem unnötigen Kraftaufwand bei allen wirtschaftlichen Verrichtungen.“ – Vielleicht auch ein Appell, die eigenen Ganglinien einmal zu dokumentieren und zu hinterfragen?
    Solche Grundrisse spiegeln unweigerlich auch soziale und geschlechtliche Konstellationen der modernen aber auch frühneuzeitlichen Gesellschaft wieder (Abb. 17). In Ernst Neuferts erstmals 1936 erschienener „Bauentwurfslehre“ findet sich ein Diagramm, das ausgehend von der Einraumwohnung weitere räumliche Aufspaltungen bis hin zum räumlich komplexen Schloss aufzeigt. Interessant ist dabei etwa, dass im bürgerlichen Wohnhaus dem Sohn ein Zimmer mit einem Hauslehrer zugeordnet ist, der Tochter hingegen ein Zimmer für eine Freundin. Auch das Herrenzimmer ließe sich Entwurfstypologisch gedacht noch weiter ausdifferenzieren (Abb. 18): Bücherzimmer, Rauchzimmer und Spielzimmer. Das Pendant, das Damenzimmer, bedarf indes keiner weiteren räumlichen Ausdifferenzierung und so könnte man im Grundriss auch die Dominanz männlicher Präsenz durch zugehörige Raumprogramme ablesen. D.h. Grundrisse ermöglichen uns auch das Verstehen in der geschlechtlichen Aufteilung und Raumbesetzung von Architektur historisch zu rekonstruieren (Abb. 19). So zeichnet sich zum Beispiel für Schlösser des 16. Jahrhunderts ab, dass bewusst spezifische weibliche und männliche Sphären bestanden, die zudem auch einer hohen sozialen Kontrolle unterlagen. So lagen die Appartements der Fürstin in Schloss Hartenfels in Torgau im 2. OG hingegen die des Fürsten im 1. OG Beide waren aber über interne Treppen miteinander verbunden. Grundrisse bilden folglich Raumfunktionen ab und mit ihrer Hilfe lassen sich komplexe räumliche Körper hinsichtlich sozialer und geschlechtlicher Kontakt- oder Kontaktvermeidungszonen nachvollziehen (Abb. 20). Ein eindringliches Beispiel für das Zusammenspiel von Grundriss und gesellschaftlicher Verfasstheit liefert Lars von Triers Film Dogville; die beklemmende Geschichte der Grace, die nach Dogville flieht und dort mehrfachen Vergewaltigungen ausgesetzt ist. Dabei sind die Bewohner der kleinen Stadt zunächst friedfertige Menschen, mit nur kleineren Marotten. Nach und nach zeichnet sich aber ein düsteres Bild deren Psyche ab. Bemerkenswert ist dabei, dass den psychisch und emotional aufgeladenen Charakteren ein nüchternes Setting entgegengesetzt wird (Abb 21). Einfache weiße Linien bilden den Lageplan der Stadt und der Grundrisse der Wohnungen ab. Dieser rational und schematisch aufgefasste Raum verstärkt die Diskrepanz zu den irrationalen zwischenmenschlichen Abgründen einer Gesellschaft (Abb. 22); und trägt in seiner Abstraktheit zugleich den düsteren Schatten einer möglichen Translozierung des unheimlichen Orts voraus (Abb. 23). Zudem werden im Trailer zum Film die Grundrisse der Wohnungen nach und nach gezeichnet und jeweils mit einem Bild ihrer Bewohner verknüpft und damit auch Charakter und Wohnraum in eine Relation gesetzt.
    Doch möchte ich heute Abend nicht mit den Schattenseiten des Grundrisses enden, wenngleich diese immer mitzudenken sind. Emotionen lassen sich in Grundrissen auch positiv ausleben. Dies beweist der wohl recht kauzige aber hochgradig gebildete Landgraf Moritz von Hessen-Kassel (Abb. 24). Dieser hat in über 400 eigenhändigen Zeichnungen sein Herrschaftsterritorium kartiert. Die Obsession in der zeichnerischen Aneignung vermute ich in einer ausgeprägten Topophilie (einer Ortsliebe). So spielt Moritz nicht nur in unzähligen Grundrissen eine mögliche Inbesitznahme oder Umgestaltung von Schlössern und Jagdsitzen seines ihm z.T. entzogenen Herrschaftsgebiets durch – das beruhte auf seiner ungeschickten Finanzpolitik. Interessant ist vielmehr zu beobachten, dass er in beinahe manischer Art und Weise immer wieder in Zeichnungen mögliche Um- oder Neubauten projektierte. Und dies z.T. auch recht humorvoll kommentierte: „‚Wie das Werk dir wächst, so wachsen Arbeit und Sorge, Sorge ist deine Saat, und deine Ernte ist Arbeit.‘“ - Folglich sind die Grundrisse hier Medien der persönlichen, rekreativen und emotionalen Weltaneignung (Abb.25).
    An dieser Stelle möchte ich nun die vier Fäden (Ereignis, Werkzeug, Bild, Kontaktzone), die uns durch die Labyrinthe der Grundrisse führten, aus der Hand legen, denn sie sind lediglich eine von vielen Möglichkeiten im Denken der von euch, Julia Horstmann und Annette Hans, so treffend formulierten „hidden lines of space“.

    * In diesem Vortragsmanuskript ist auf Fußnoten verzichtet worden.